Tuesday, March 16, 2010

Ein ganz normaler Tag in Chennai

Hilfe, mein Visum laeuft aus!

In der vergangenen Woche ist mir bruehend heiss eingefallen, dass mein Visum am 21. Maerz auslaeuft. Das heisst, prinzipiell laeuft es nicht aus. Ich habe im Dezember hier in Chennai eine 6-monatige Verlaengerung beantragt. Drei Monate wurden mir sofort zugesagt, die restlichen drei Monaten werden muessen vom FRRO (Foreign Regional Registration Office) in Neu Delhi genehmigt werden. In meinem Schreiben heisst es, dass ein Brief zugeschickt wird, sobald eine Entscheidung gefallen sei.

Nun war es schon der 9. Maerz und ich hatte noch immer nichts aus Delhi gehoert. In mir stieg schon Panik auf (Herzrasen, Zittern und feuchte Haende), weil ich befuerchtete in einer Woche das Land verlassen zu muessen. Das waere derzeit einfach zeitlich furchtbar unguenstig. Da ich keine Telefonnummer hatte, um nachzufragen und ich von den deutschen Konsulatsmitarbeitern weiss, dass selbst die Schwierigkeiten haben, das Immigrationsbuero zu erreichen, beschloss ich gleich persoenlich vorzufahren und nachzufragen.

Ein Besuch im regionalen Immigrationsbuero

Das Buero liegt in Nungambakkam und ist somit leider sehr weit weg von Kottivakkam, wo wir wohnen, so dass ich fuer die Hin- und Rueckfahrt bei fluessigem Verkehr 1,5 Stunden einrechnen muss. Punkt 11 war ich dort, um zu erfahren, dass alle Nachfragen fuer die Antragsteller, die noch KEINEN Brief aus Neu Delhi erhalten haben, zwischen 16 und 17 Uhr zu stellen seien. Ich ueberlegte, ob es sich lohnen wuerde zurueckzufahren. Da ich keinen Laptop dabei hatte, konnte ich mich noch nicht einmal in mein Lieblingscafe, das Amethyst setzen, um dort zu arbeiten und die Wartezeit zu ueberbruecken. Ich rief nochmal Deepak an und fragte, ob er irgendetwas aus der "Stadt" braucht, da ich gerade da war, obwohl ich wusste, dass er "Nein" sagen wuerde. Er braucht nie irgend etwas.

Also fuhr ich zurueck. Nun ja, gluecklicherweise wurde ich gefahren. Trotzdem aergerte mich die verschwendete Zeit. Gegen 3 machte ich mich wieder auf den Weg, diesmal mit einer Autorikscha. Ich konnte den Fahrpreis von 200 auf 150 Rupien runterhandeln. Wahrscheinlich waeren bei ein wenig mehr Hartnaeckigkeit auch noch 10 Rupien mehr "Rabatt" drin gewesen, aber ich hatte einfach nicht die Zeit und Geduld noch weiter zu handeln.

Ein zweiter Besuch im regionalen Immigrationsbuero

Wieder angekommen beim Immigration Office setzte ich mich ins Wartezimmer und schlug ein Buch auf, um die Wartezeit zu verkuerzen. (Ich lese gerade einen Stieg Larsson-Krimi! Was fuer ein Buch!) Da kam auch schon mein liebster Mitarbeiter, ein aelterer, angenehmer Herr, durch und durch Tamile und immer sehr hilfsbereit. (Ich war schon seeeeeeeehr oft dort.) Er erklaerte mir, dass ich mich nach dem 21. Maerz weiterhin legal im Land aufhalten darf, da der Antrag bereits gestellt ist. Wenn ich jedoch das Land verlassen moechte bevor die Genehmigung per Brief kommt, muss ich ein Exit-Visum beantragen.

Ich bin mir sicher, das haette man mir auch am Vormittag sagen koennen. Noch mehr als die unnoetigen Fahrtkosten, stoerte mich die vergeudete Zeit. Dennoch war ich erleichtert ueber die Nachricht, dass ich das Land nicht verlassen muss. Ganz im Gegenteil! Ich darf ja nun ohne Zustimmung der Behoerden nicht mehr ausreisen. Gefangen in Indien! Es gibt meiner Meinung nach Schlimmeres. Ich bin ja schliesslich gern hier.

Der Oxford Book Store

Ich machte mich nicht sofort auf den Rueckweg, weil ich noch einem Einkaufscenter schauen wollte, ob sie noch die Armreifen hatten, die ich dort mal gesehen hatte. Ich wollte nicht kaufen, nur schauen, ob sie noch da waren. Also lief ich los, vorbei an einem Oxford Book Store, der gross SALE schrie. Ich konnte nicht daran vorbeigehen. Es kostete mich allerdings geschlagene 10 Minuten bis ich die Strasse ueberqueren konnte. Der Verkehr war furchtbar, aber der Book Store ein Traum. Nun bin ich mittlerweile schon fast zwei Jahre in Chennai und hatte es noch nicht in dieses Paradies geschafft. (Was wohl wahrscheinlich daran liegt, dass der Buchladen so weit weg ist.) Es ist ein kleiner Store mit drei Etagen, ebenso kleine, aber feine Auswahl an Klassikern, Bestsellern, Yoga und Reiki-Buechern sowie einer beachtlichen Auslage an Kinderbuechern. Doch das Beste ist der Coffee Shop auf der oberen Ebene.

Na gut, dann heute doch kein Kaffee

Ich war begeistert und haette mich auch am liebsten auf ein Kaeffchen fuer ein paar Minuten niedergelassen, wenn da nicht, jaaaaaa wenn da nicht dieser tendeziell aufdringliche Verkaeufer gewesen waere, der es nicht lassen konnte, jeden weiblichen Besucher des Ladens besonders intim zu begruessen und ich hatte das Gefuehl, dass jeder weibliche nicht-indische Besucher mit dreifach besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde. Das betraf also mich! Ich naeherte mich schon der Cafe-Theke, doch als ich sah, dass mein spezieller Freund schon wieder auf meine naechsten Zug wartete, beschloss ich, ein anderes Mal wiederzukommen, um einen Kaffee zu geniessen. Ich befuerchtete, dass er sich zu mir setzen wuerde und ein laengeres Gespraech fuehren wollte. Selbst wenn ich ihn darauf hingewiesen haette, dass ich gern allein sein moechte, schreckte mich schon allein der Gedanke an den damit verbundenen Aufwand ab. Ich kehrte also um und verliess das Geschaeft.

Der Rikscha-Fahrer

Es folgte noch ein kurzer Stopp im Ispahani Center, wo ich -wie bereits erwaehnt- nur nachschauen wollte, ob es die Armreifen noch gab. Nein, leider nicht. Gut, dann waere das geklaert und ich konnte mich auf den Heimweg machen. Der erste Fahrer, der anhielt, verlangte 150 Rupien und weil ich von der Hitze muede war und nur noch nach Hause wollte, stieg ich sofort und ohne langwierige Verhandlungen ein, obwohl ich mittlerweile ein gutes Stueck gelaufen war und den Preis um mindestens 20 Rupien haette druecken koennen. Wir waren schon fast am Ziel als der Fahrer ploetzlich anfing zu schimpfen, dass es sooooooo weit war und ich 30 Rupien mehr zahlen sollte. Ich meinte, dass 150 abgemacht waren und ausserdem sei es nicht mehr weit sei. Er liess sich selbstverstaendlich nicht darauf ein und meinte nur, dass 20 Rupien mehr drin sein muessten. Er war nicht besonders nett und wurde zudem auch noch laut, was zur Folge hatte, dass ich laut wurde. Der Preis war mehr als fair und ich sah nicht ein, noch mehr zu zahlen.

Als er noch lauter wurde, was ich fast nicht mehr fuer moeglich gehalten haette, stieg ich aus und lief die letzten Meter nach Hause. Ich haette ihm an dieser Stelle auch das Geld in die Hand druecken koennen, nur leider hatte ich es nicht passend und da er sowieso schon veraergert war, vermutete ich, dass er mir mein Wechselgeld auch nicht zurueckgeben wuerde.

An dieser Stelle muss ich mich darueber beschweren, dass diese Auseinandersetzung niemanden interessierte. Obwohl der Rikschafahrer laut und deutlich unhoeflich wurde, interessierte das niemanden. Normalerweise muss ich nur die Strasse entlang gehen und werde angestarrt und angesprochen oder angepfiffen. Und wenn es mal darauf ankommt: NICHTS. Niemand drehte sich um, niemand guckte, niemand starrte. Alle Leute auf der Strasse schienen blind, taub und stumm.

Der Rikscha-Fahrer und die Polizei

Zuhause angekommen, rief ich Deepak nur zu, dass ich 150 Rupien braeuchte, weil der Rikscha-Fahrer draussen stehe und mich anschrie. Deepak wurde gleich stellvertretend fuer mich wuetend und ging nach draussen, um die Angelegenheit zu klaeren. In der Zwischenzeit erzaehlte der Fahrer seine Version der Geschichte lautstark unserem Sicherheitsmann, so dass es auch gleich die ganze Nachbarschaft mit Sensation beglueckt wurde.

Nach einem kurzen Wortwechsel auf Tamil, von dem ich nichts verstand, sagte Deepak nur zu mir, dass ich reingehen sollte. Und ploetzlich, ich wusste nicht, was passiert war, rief er die Polizei. Es ging an dieser Stelle nicht mehr um die 20 Rupien. Ich weiss nicht wie und warum diese Situation so eskalieren konnte. Am liebsten haette ich dem Fahrer 500 Rupien gegeben, er sollte nur schnell wieder fahren. Der Polizist, den Deepak rief, war ein richtiger Polizist - keine Frage. Nur, dass es eben nicht nur Polizist, sondern auch ein Freund von Deepak ist.

Nach einigen unsagbar langen Minuten weniger heftigem Wortwechsel vor der Tuer, wurde ich nach draussen gerufen. Dort stand der Rikschafahrer in seiner khaki-farbenen Uniform, barfuss und vor ihm auf einem Motorrad der Polizist, der ihm ohne Zweifel eine Standpauke hielt. Der Polizist sagte etwas zu dem Fahrer, woraufhin der sich umdrehte und mir in die Augen schaute und "Sorry Madam" sagte. In diesem Moment wurde mir schlecht. Ich weiss nicht, was passiert war, wie und warum es so weit gekommen war. Nur stand da dieser Fahrer ohne Schuhe und entschuldigte sich bei mir. Das Schlimme daran, ich konnte es sehen, dass er tatsaechlich todungluecklich ueber das, was soeben passiert ist, war.

Das Ende

Aus indischer Perspektive musste so gehandelt werden. Ich lerne nach zwei Jahren Aufenthalt in Indien noch immer dazu. Der Fahrer hatte gedroht, in der Nacht wiederzukommen mit seinen Freunden und uns sprichwoertlich das Leben zur Hoelle zu machen. Das hatte ich natuerlich nicht verstanden. Es ging in diesem Moment nicht um 20 Rupien mehr oder weniger. Wie bereits erwaehnt war der Preis ein fairer Preis. Es ging um Macht, Respekt und Gesichtsverlust und ich musste mitansehen wie dieser Mann sein Gesicht verlor.

1 comment:

  1. Wow, das hat mich doch jetzt sehr mitgenommen. Danke für die Geschichte und man lernt soviel aus deinen posts. Keep the good work up. -Mandy-

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