Saturday, March 20, 2010

Vom ewigen Starren

Vor Kurzem las ich im Zuge der Debatte zu Missbrauch an katholischen Schulen und Internaten ein Interview mit Schuelern des Aloisiuskollegs in Bad Godesberg. Eine Aussage machte mich nachdenklich. Die Zeit fragte, wann Missbrauch anfangen wuerde und Darius Kraemer antwortete:

"Sobald die Grenze zur eigenen Privatsphäre überschritten wird. Schon wenn man denkt, der guckt mich jetzt aber komisch an, oder wenn man fotografiert wird, ohne gefragt zu werden."

Darius spricht mir aus der Seele. Ich werde hier staendig komisch angeschaut. Tagtaeglich! Als ich vor gut zwei Jahren im April hier in Indien ankam und noch am Flughafen darauf wartete, dass mein damaliger Chef Mehul mich abholen wuerde, machten ein paar junge Maenner mit dem Handy ungefragt Fotos von mir.

Wenn ich gefragt werde, ob jemand ein Bild machen darf, sage ich selten "Nein". Bisher kann ich meine Verweigerungen an einer Hand abzaehlen. Erst vor Kurzem hatte ich sogar ein nettes Erlebnis im Spencer Plaza, das erste und groesste Einkaufszentrum Chennais. Ich war im Drogeriemarkt, um Shampoo, Zahnpasta und Seife zu kaufen, als ich ein Maedchen sah, das mir bekannt vorkam. Ich schaute sie wahrscheinlich eine Millisekunde laenger als notwendig an, um herauszufinden, ob ich sie tatsaechlich kannte oder ob sie nur jemandem aehnlich sah. Sie fuehlte sich offenbar durch meinen Blick ermutigt, denn ploetzlich sprach sie mich an und fragte, ob sie ein Bild von mir machen duerfte. Ihre Freundinnen waren froh, dass sie den Mut hatte, den Damm zu brechen. Es folgte regelrecht eine Fotosession, die sich ueber 10 Minuten hinzog, da jedes der Maedchen mindestens ein Foto wollte. Sie waren sehr hoeflich und suess und verabschiedeten sich alle der Reihe nach mit Handschlag von mir.

Fuer mich ist es ein wenig schwer nachzuvollziehen, was diese Menschen mit einem Foto von einer voellig Fremden wollen, einer Fremden im Drogeriemarkt mit Shampoo, Zahnpasta und Seife in der Hand. Es mag sicher sein, dass sie noch nie im Leben, eine Weisse gesehen haben (ausser vielleicht im Fernsehn), aber sich gleich eine Erinnerung an diesen Moment zu sichern, ist fuer mich unverstaendlich. Es ist als ob man ein seltenes Exemplar im Zoo fotografiert.

So komme ich mir auch vor, wenn ich die Strasse entlang gehe - wie ein Ausstellungsstueck, das man begaffen muss. Als meine ehemalige Schweizer Nachbarin noch relativ neu in Indien war, erzaehlte sie in einer groesseren Runde, dass sie nicht nur angeschaut wird, sondern dass sie darueberhinaus oft das Gefuehl hat, dass sich die Menschen auf der Strasse lustig ueber sie machen. Fuer uns war das damals nichts ungewoehnliches, worauf Christa fragte: "Lachen sie euch auch aus?" Ja, das tun sie. Aus neugierigem erstaunten Angucken wird auch hin und wieder ein Auslachen.

Die Grenze zu meiner Privatsphaere wird jeden Tag ueberschritten und obwohl man doch eigentlich meinen koennte, dass ich nach zwei Jahren daran gewoehnt sein sollte, macht es mir manchmal das Leben hier in Indien schwer. Ich versuche es zu ignorieren, nicht hinzusehen, nicht zu reagieren, mit mir selbst Eins zu sein, damit es mich nicht beruehrt. Ich habe gelernt, Scheuklappen zu tragen, nur manchmal vergesse ich die daheim.. und dann fuehle ich mich missbraucht, so wie Darius es in der Zeit erklaert hat.

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