Monday, November 30, 2009

Über Stock und Stein



Wasser Steine rot Gras Busch Kinder Suppe Nagala Himmel Feuer grün Affen Swimming Pool Märchen Plateau Bäume blau Bach Sprudel Blätter gelb Dornen Adidas Luft Erde Maggi Berge


Vor über einem Jahr googelte ich nach Outdoor-Aktivitäten in und um Chennai, weil ich mich so sehr nach ein wenig Natur gesehnt hatte. Ich fand einen Anglerverein und den Chennai Trekking Club. Angeln fand ich toll, aber nachdem Deepak und ich es ein Mal ausprobierten, kam ich davon ab. Wir sind mit einem klitzekleinen Fischerboot aufs Meer hinausgefahren und haben dort klitzekleine Fische gefangen. Um so größer war jedoch die Übelkeit die uns völlig einnahm. Ich fand heraus, dass ich seekrank werde, somit fiel das Fischen also ins Wasser.

Blieb also noc
h Wandern. Obwohl ich den Chennai Trekking Club bereits im vergangenen Jahr entdeckt hatte, dauerte es mehr als zwölf Monate bis ich es schaffte, einen der organisierten Trips mitzumachen. Gestern ging es mit Kids der Shriram Matriculation School auf einen Social Treck. Etwa 30 Volunteers begleiteten 30 Kids einer Schule für sozial benachteiligte Kinder. Mein erster Ausflug! Es ging 6 Uhr morgens los - zu einer Zeit, zu der sich noch nicht einmal die Sonne blicken lässt. An verschiedenen Stationen sammelte das Organisationsteam nach und nach alle Teilnehmer ein. Als alle vollständig waren, ging es zur Schule, die zwar noch in Chennai liegt, deren Umgebung allerdings eher an ein Dorf erinnert. Die Dorfbewohner kündigten unsere Autokolonne lautstark an. "Vellai karan, vellai karan!!" schrien sie. "Weiße, Weiße!!" Die Kinder, die alle um die 14 Jahre alt sind, warteten schon auf dem Schulgelände auf uns und beobachteten uns neugierig. Nach einem südindischen Frühstück (Dosa und Idli) ging es scheinbar unendlich weit landeinwärts. Die Straßen wurde schmaler, die Umgebung grüner und der Horizont weiter. Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir endlich an. Die Kinder und ich auch konnten es kaum noch erwarten. Wir durchquerten erst eine Buschlandschaft mit mannshohen Sträuchern. Nach etwa einer halben Stunden erreichten wir den Wald. Das Paradies!! Ein Märchenwald mit Sträuchern, Dornen, verwinkelten Pfaden, steinigen Hindernissen, wilden Bächen und duftendem Grün.

Da ich nicht sonderlich gut in Form bin (Peter, der Organisator weist auf der Homepage darauf hin, dass Yoga und Gym nicht ausreichen, um bei den Trecks mitzuhalten), war ich froh als ich hörte, dass der Trek mit Kindern stattfindet. Ich hatte angenommen, dass es ein gemütlicher Spaziergang wi
rd. Nichts da! Strammes Wandern über Stock und Stein war angesagt. An einigen Stellen mussten wir den Bach überqueren und an den Stellen, an denen es keine Steine zum Überqueren gab, ging es mutigen Schrittes durch das Wasser hindurch. Beim ersten Manöver dieser Art, dachte ich noch daran, meine Schuhe auszuziehen, doch dafür war keine Zeit. Ich hätte nur die Gruppe aufgehalten. Anscheinend war ich auch die Einzige, die diesen Gedanken hatte. Die anderen wussten es aus Erfahrung besser. Also tat ich es ihnen nach und watete mit Schuhen ans andere Ufer. (Meine guten Adidas! Wenn ich das gewusst hätte!) Die Kinder sorgten sich gar nicht. Ich bewunderte wie sie mit ihren Schläppchen so gut mithielten. Einige bevorzugten, den Weg barfuß zurück zu legen. Respekt! Nach gut drei Stunden gelangten wir an ein felsiges Plateau mit zwei traumhaften, von der Natur geschaffenen Swimmingpools. Die Kinder sprangen sofort ins Wasser, ich war noch etwas zurückhaltender. In voller Montur stand ich bis zu den Oberschenkeln im Wasser und überlegte noch, ob ich wirklich untertauchen sollte. Schließlich war das Wasser kalt. Meine Überlegung erübrigte sich jedoch als die Jungs mit einer Wasserschlacht begannen. Innerhalb on 10 Sekunden war ich pitschnass und es war zu spät, sich über die Wassertemperatur Gedanken zu machen. Es war großartig! Vorsicht Klischee, aber ich muss es einfach sagen: Ich kam mir vor wie ein neuer Mensch. Ich stieg aus dem Wasser und fühlte mich frei. Und hungrig. Drei Stunden durch den Busch zehrten an meinen stadtmenschlichen Reserven. Die Organisatoren kochten Maggi Noodles über einem Lagerfeuer mit Wasser, das sie dem Bach entnahmen. In einem zweiten Topf brodelte Suppe. Umgerührt wurde mit einem Stock, serviert auf getrockneten Blätter, die mit kleinen Zweigen zusammengesteckt waren. (Die Blätterteller waren vorher im Dorf gekauft worden.) Die Suppe wurde in auseinandergeschnittenen Wasserflaschen gereicht, weil es nicht genug Schüssel gab. Ich liebte es. Das war der Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Die Kinder waren von den Maggi Noodles nicht so begeistert. Ich nehme an, dass es daheim kaum auf den Tisch kommt und gerade Kinder mögen doch oft nicht, was sie nicht kennen. Ich sehnte mich nach dem Essen nach einem Schokoriegel. Ein paar Stunden in der Wildnis und schon kam ich mir vor als ob ich auf einer einsamen Insel gestrandet bin.

Gegen 4 machten wir uns wieder auf den Rückweg, damit wir vor Einbruch der Dunkelheit an unserem Ausgangspunkt ankommen könnten. Mit begi
nnender Dämmerung wurde es laut im Busch. Grillen und Vögel ließen von sich hören. Aber waren das auch tatsächlich Vögel? Sicherlich Vögel, die ich noch nie vorher noch nie gesehen, geschweige denn gehört hatte? Ich schaute nach oben und versuchte die Quelle diesen seltsam klingenden Vogels auszumachen. Durch das Dickicht sah ich in etwa 25 Meter Höhe einen Felsen, auf dem ein Affe saß und kreischte wie ein Geier, der gebissen wurde. Der Anblick des Tieres auf dem Stein gen Himmel gereckt, erinnerte mich an den König der Löwen und schwupps hatte ich einen nervenden Ohrwurm. Phil Collins begleitete mich also den Rest des Weges. Durch die Buschlandschaft ging es zurück und das Licht der Dämmerung machte das Grün grüner, die rote Erde roter und das Blau des Himmels noch blauer. Alles war klar und leicht und frisch. Mein Herz war rein und befreit.

Ich ließ zurück: 30 glückliche Kinder, ein bisschen Puste und ein wenig Stadtschwere, die auf mir gelegen hatte.

Ich gewann: Die Erinnerung an 30 glückliche Kinder, Atem, berauschende Natur, ein paar Kratzer an den Beinen, von denen mich einer stolzer macht als der andere, rote Erde an den geliebten Adidasschuhen und Freude.


No comments:

Post a Comment